Weltfrauentag und Inklusion 2022

Am 8. März demonstrieren Frauen weltweit schon über 100 Jahre gegen Diskriminierung, für Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Es ist ein Tag, an dem alle Frauen unabhängig von Hautfarbe, Konfession, Nationalität, Geschlecht und sexueller Orientierung egal ob mit oder ohne Behinderung für ihre Rechte kämpfen.

Die Vereinten Nationen feiern den „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ seit 1975 auch immer am 8. März.

Am 24. Februar hat Russland die Ukraine angegriffen und wir haben Krieg in Europa. Wie schrecklich! Die Menschen in der Ukraine kämpfen um ihre Freiheit und Unabhängigkeit.

Es ist sehr traurig, dass so viel Blut vergossen wird und all die Menschen sterben.

Frauen mit ihren Kindern müssen ihre Heimat verlassen und flüchten um zu überleben.

Angst verbreitet sich auch bei uns.

Fast die ganze Welt fordert Präsident Putin dazu auf, den Krieg zu beenden und er droht mit Nuklearwaffen.

Hoffentlich zeigen die vielen Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden ihre Wirkung!

Aber es macht auch Mut, die große Solidarität mit der Ukraine zu sehen und die unermüdliche Unterstützung und Hilfsbereitschaft in Europa und weltweit.

Heute am Tag für den Weltfrieden sind unsere Gedanken und Gebete bei diesen Menschen, die so viel Leid erfahren.

An diesem 8. März, wo wir uns so sehr nach Frieden sehnen ist aber auch der Weltfrauentag, an dem wir nicht vergessen dürfen, wie wichtig die Forderungen der Frauen nach Emanzipation, Gleichberechtigung und Chancengleichheit sind.

Darum ist es auch richtig, an diesem Tag darauf aufmerksam zu machen, dass Frauen in vielen Bereichen immer noch nicht die gleichen Rechte haben, obwohl schon viel erreicht wurde.

Natürlich kann ich nicht auf alle Forderungen eingehen, aber auf einige wichtige Punkte möchte ich gerne hinweisen.

Jede 5. Frau weltweit lebt mit einer Behinderung und deshalb müssen die Rechte dieser Frauen unbedingt gestärkt werden.

Außerdem müssen die Forderungen von Frauenbewegungen und Bewegungen von Menschen mit Behinderung nicht isoliert betrachtet werden.

Eine große Errungenschaft war es, als im November 1918 endlich das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt wurde.

Das inklusive Wahlrecht für alle gilt in Deutschland erst seit 2019, also mehr als 100 Jahre später. Bis dahin wurden Frauen und Männer, die einen gesetzlichen Betreuer haben vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Erst 1900 wurden die ersten Frauen in Deutschland zum Studium an Hochschulen zugelassen.

Inzwischen gibt es zwar viele Studentinnen, aber wenige Professorinnen.

Frauen in Führungspositionen oder im Vorstand von Unternehmen sind nach wie vor eine Ausnahme. Trotz guter Qualifizierung werden Männer immer noch bevorzugt. Brauchen wir eine Frauenquote um das zu ändern?

Frauen mit Behinderung sieht man so gut wie gar nicht in Führungspositionen.

Frauen verdienen immer noch 18% weniger als Männer für die gleiche Arbeit.

Daher gilt weiterhin die Forderung: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“

Wer in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet, verdient monatlich gerade mal 200 €. Da gibt es keinen Mindestlohn.

Der Equal Pay Day, der Tag des gleichen Lohnes ist in diesem Jahr am 7. März. Das bedeutet, dass der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern so groß ist, als würden Männer vom 1. Januar an bezahlt werden und Frauen bis zum 7. März umsonst arbeiten.

Früher blieben Frauen zu Hause und die Männer verdienten das Geld.

Auch heute noch sind es meist die Frauen, die sich um die Kinder und pflegebedürftigen Angehörigen kümmern und deshalb zu Hause bleiben oder nur Teilzeit arbeiten und weniger Geld verdienen. Wenn sie dann wieder in ihren Beruf zurückkehren wollen, gibt es oft Schwierigkeiten.

Altersarmut ist vorprogrammiert, weil sie wenig verdienen und deshalb auch wenig Rente bekommen. Oft sind Frauen finanziell abhängig von ihrem Ehemann. Alleinerziehende Frauen haben es da besonders schwer.

Frauen mit Behinderung sind sogar mehrfach von Diskriminierung betroffen. Sie werden einmal wegen des Geschlechts und dann auch wegen der Behinderung benachteiligt.

Für sie gibt es fast unüberwindbare Barrieren beim Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt.

Wegen dieser Ausgrenzung können sie ihren Lebensunterhalt nicht verdienen und leben in Armut.

Um ihnen ein selbstbestimmtes Leben und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen, müssen sie Unterstützung bekommen und alle Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen müssen inklusiv und barrierefrei sein.

Weltweit sind insbesondere Frauen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution, sie werden zwangsverheiratet oder erhalten keinen Zugang zu Bildung. Das muss sich ändern!

Frauen werden oft Opfer häuslicher Gewalt besonders vermehrt auch in der Coronakrise.

Frauen mit Behinderung werden etwa 10 mal so oft Opfer sexueller Gewalt wie nicht behinderte Frauen.

Die Voreingenommenheit und die Einstellung gegenüber Frauen und Mädchen muss sich ändern und wir müssen für mehr Gleichberechtigung sorgen.

Darum ist auch eine geschlechtsneutrale Erziehung wichtig.

Die Lebensrealität von Frauen mit Behinderung wird von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht ausreichend wahrgenommen.

Es gibt leider noch keine gleichberechtigte Teilhabe.

Inklusion ist nur so gut, wie sie umgesetzt wird.

Vielleicht brauchen wir da mehr Kontrolle.

Auf jeden Fall brauchen wir mehr Diversität.

Frauen mit und ohne Behinderung müssen viel mehr sichtbar sein.

„Wer gesehen wird gehört dazu!“

Leben mit Handicap – meine wahre Geschichte (2009)

19. Oktober 2010: Mit dieser Geschichte habe ich an dem Geschichtenwettbewerb von den Gesellschaftern der Aktion Mensch und dem bvkm teilgenommen und den dritten Preis bekommen.

Ich heiße Carina Kühne und bin 24 Jahre alt. Ich habe das Down-Syndrom, deshalb bin ich anders, als die meisten Menschen. Ich habe nämlich nicht 46 sondern 47 Chromosomen. Das Chromosom 21 ist bei mir 3-fach vorhanden. Trotzdem lebe ich gerne.

In Deutschland gibt es ungefähr 50 000 Menschen mit Down-Syndrom. Wenn Ärzte während der Schwangerschaft das Down-Syndrom feststellen, werden neun von zehn Föten abgetrieben.

Auch meine Eltern waren sehr traurig, als sie erfuhren, dass ich eine Behinderung habe. Alle Menschen wünschen sich perfekte Kinder. Nur für meinen Bruder war ich eine ganz normale kleine Schwester, mit der man kuscheln und die man herumschleppen konnte. Meine Eltern hatten Angst vor der Zukunft. Man hatte ihnen gesagt, dass ich vielleicht niemals laufen werde und mit Sicherheit niemals lesen, schreiben und rechnen lernen würde.
Deshalb sollte ich besser in ein Heim kommen.

Ich war ein Frühchen und entwickelte mich sehr langsam. Meine Mutter wollte mich trotzdem behalten. Essen klappte bei mir nur mit Musik und mein Bruder musste immer Klavier spielen.

Um meine Muskeln zu stärken, bekam ich Krankengymnastik und durfte einmal in der Woche am Babyschwimmen teilnehmen. So lernte ich wie fast alle anderen Kinder auch sitzen, stehen und laufen. Während mein Bruder schon mit acht Monaten anfing zu laufen, brauchte ich dazu genau zwei Jahre und einen Tag. Die ganze Familie freute sich riesig darüber.
Meine Mutter behandelte mich wie ein ganz normales Kind. Sie machte keine Unterschiede zwischen meinem Bruder und mir. Ich brauchte zwar mehr Unterstützung und Förderung, aber ich konnte auch sehr viel lernen. Ich kam in einen Regelkindergarten und entwickelte mich nicht viel anders, als die anderen Kinder. Ich liebte jede Beschäftigung. Wenn die anderen Kinder keine Lust mehr hatten, wollte ich unbedingt weiter machen.

Weil mein Auge oft entzündet war, musste ich häufig in die Augenklinik. Dort machte man auch Sehtests. Wenn ich nicht richtig reagierte, hieß es einfach: „Die hat ja ein Down-Syndrom, die will nicht!“. Erst kurz vor meiner Einschulung wurde festgestellt, dass ich weitsichtig bin (6,5 Dioptrien). Ich konnte also nicht richtig sehen.

Normalerweise müssen Kinder mit Down-Syndrom in eine Sonderschule für praktisch Bildbare. Ich hatte Glück und durfte eine ganz normale Grundschule besuchen. Da konnte ich mit den anderen Kindern gemeinsam lernen. Das war für mich sehr wichtig, weil ich immer viel abgeguckt und nachgeahmt habe. So bekam ich die Möglichkeit, den gleichen Stoff zu lernen wie die anderen Kinder. Es machte mir viel Spaß und ich ging gern in die Schule. Deshalb wollte ich auch in der Sekundarstufe integrativ beschult werden. Das war gar nicht so einfach, weil wir eine Schule finden mussten, die einen Antrag auf Schulversuch beim Kultusministerium stellen würde. Zunächst klappte das nicht und ich bekam eine Zwangseinweisung in die Sonderschule. Aber wir gaben nicht auf und schafften es unmittelbar vor Schulbeginn, dass ich zunächst wenigstens die 4. Klasse wiederholen durfte. Laut Schulrat ist dies nicht möglich, weil Kinder mit Down-Syndrom das Klassenziel ohnehin nicht erreichen können.
Danach hatte ich großes Glück und fand eine weiterführende Schule. Auch hier kam ich gut mit. Der Fachberater hatte zwar gemeint, dass ich am Englischunterricht nicht teilnehmen könnte sondern mit meinem Sonderpädagogen in der Ecke sitzen müsste. Aber das war ein Irrtum. Ich konnte gut mitmachen. Englisch war mein Lieblingsfach, ich war Klassenbeste und bekam eine Eins im Zeugnis.
So schaffte ich einen guten Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 2,3. Darüber war ich sehr glücklich. Keiner hatte dies für möglich gehalten.
In der Sonderschule bekommt man den Stoff nämlich gar nicht erst angeboten.

Nun bin ich ein Integrationsfan und wünschte, dass alle Kinder mit und ohne Behinderung die gleiche Chance bekommen.

Auch nach der Schule war es nicht leicht für mich. Ich habe trotzdem viel gemacht, zunächst ein halbes Jahr Praktikum in zwei verschiedenen Arztpraxen. Da ich damals noch schulpflichtig war, habe ich mit den auszubildenden Arzthelferinnen im ersten Lehrjahr gemeinsam die Berufsschule besucht. Dort kam ich gut mit. Ich lernte auch mit zehn Fingern am Computer zu schreiben.

Anschließend habe ich 19 Monate einen Förderlehrgang in einem Walldorfkindergarten gemacht. Dort gefiel es mir sehr gut. Ich fühlte mich wohl und wurde von allen akzeptiert, die Kinder liebten mich. Alle wollten, dass ich dort weiterhin arbeite aber leider scheiterte es an den Finanzen. Ich hätte zwar noch für ein Jahr bleiben können, aber nur 100 € monatlich erhalten. Davon kann man natürlich nicht leben.

Nun musste ich weiter suchen und fand einen Ausbildungsplatz zur Altenpflegehelferin. In der Schule kam ich gut mit, aber im Altenpflegeheim wo ich meine praktische Ausbildung machen sollte, wurde ich gemobbt. Man war nicht bereit, mich anzuleiten. Die Stationsleiterin sagte, wenn sie damals nicht im Urlaub gewesen wäre, hätte sie verhindert, dass ich den Ausbildungsplatz bekomme. Nach der halbjährigen Probezeit beendete ich die Ausbildung. Das war eine sehr traurige Erfahrung.

Am liebsten wollte ich wieder in einem Kindergarten arbeiten. Ich schrieb mindestens 100 Bewerbungen, dann bekam ich einen Praktikumsplatz in einer Praxis für Entwicklungspädagogik in Mainz. Hier kamen entwicklungsverzögerte Kinder, hauptsächlich Kinder mit Down-Syndrom einmal pro Woche für 1 ½  Stunden zur Therapie. Sie lernten dort in kleinen Gruppen mit dem Montessorimaterial sowie den Kieler Zahlen und Gebärden. Es gab auch Musiktherapie und Gymnastik. Wenn die Therapeutin zwischendurch ans Telefon musste oder ein kurzes Elterngespräch führte, durfte ich weiter machen. Das gefiel mir auch sehr gut. Man bot mir an, dort eine abgespeckte Ausbildung zu machen und wollte einen Kindergarten für mich suchen, in dem ich praktisch arbeiten sollte. Weil die Entfernung von meinem Wohnort aber zu weit war, sollte ich in ein Wohnheim am Ort ziehen. Das wollte ich aber nicht. Ich möchte noch nicht zu Hause ausziehen!

Mein nächstes Praktikum absolvierte ich in einer Schule für praktisch Bildbare. Ich hatte ja nur Integration kennen gelernt und war sehr gespannt auf die Sonderschule. Für die sechs Kinder in der Klasse gab es zwei Lehrerinnen, eine Therapeutin, einen Zivi und mich als erwachsene Betreuerin. Jede Klasse hatte einen Therapieraum, eine Küche und einen Klassenraum. Außerdem gab es in der Schule ein Schwimmbad, einen Musikraum und mehrere Turnräume. Die Schule war super toll ausgestattet und einmal in der Woche fuhr die Klasse mit dem Bus zum therapeutischen Reiten. So etwas hätte ich auch gerne in meiner Schule gehabt. Trotzdem bin ich sicher, dass es für mich gut war in eine ganz normale Schule mit normalem Unterricht zu gehen. Die Kinder in der Sonderschule werden super betreut aber sie lernen kaum Kulturtechniken. Vielleicht könnten einige Kinder viel mehr lernen, wenn man es ihnen anbieten würde. Mein Praktikum dauerte nur vier Wochen.

Deshalb suchte ich weiter und fand einen neuen Praktikumsplatz in einem CAP-Markt, leider auch wieder ziemlich weit entfernt. Das war ein ganz neues Arbeitsfeld für mich. Ich musste Regale einräumen, die Ware im Regal vorziehen, die Papierpresse bedienen und manchmal durfte ich auch an die Kasse. Auch dort gefiel es mir und man war sehr zufrieden mit mir. Deshalb stellte man mir nicht nur einen Arbeits- sondern sogar einen Ausbildungsplatz in Aussicht. Leider waren dann doch schon alle Plätze vergeben und man empfahl mir, im kommenden Jahr eine neue Bewerbung zu schicken, falls ich bis dahin keinen Job hätte.

Sehr schnell fand ich einen neuen Praktikumsplatz. Diesmal war es wieder etwas ganz anderes. Ich arbeitete als Servicekraft in einem Café. Nach einem dreimonatigen Praktikum bekam ich einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Die Arbeit mit den Gästen macht mir sehr viel Freude.

Außerdem kann ich nun auch noch mein Hobby mit einbringen. Ich spiele nämlich Klavier und habe in dem Café schon einige Konzerte von zwei bis drei Stunden gegeben. Meine Liebe gehört der klassischen Musik.

Meine Mutter sagt immer, wenn sie nach meiner Geburt das gewusst hätte, was sie heute weiß, hätte sie viel weniger Tränen geweint und viel weniger Sorgen gehabt.

Sicherlich hätte ich lieber kein Down-Syndrom, aber leiden tue ich eher unter der Ablehnung meiner Mitmenschen, als unter der Chromosomenanomalie. Ich kann trotzdem viel lernen und möchte gerne bald meinen Führerschein machen. Ich fühle mich nicht behindert, werde aber manchmal von meinen Mitmenschen behindert.

Eigentlich sind doch alle Menschen anders. Selbst eineiige Zwillinge sind nicht ganz gleich. Männer sind anders, Frauen sind anders. Es gibt weiße und farbige Menschen, es gibt Chinesen, es gibt Indianer, Inder, Eskimos und viele mehr. Alle sind anders. Fast jeder Mensch hat doch ein Defizit. Auch ohne Down-Syndrom kann nicht jeder Abitur machen und studieren. Keiner weiß, ob ihm morgen nicht ein Stein auf den Kopf fällt. Die meisten Behinderungen erwirbt man irgendwann im Laufe des Lebens.
Ich habe auch einen Kopf, einen Körper, zwei Arme, zwei Beine, zwei Hände, zwei Füße, zehn Finger, zehn Zehen, Haare, Augen, Nase und Mund wie fast alle Menschen. Meine Gefühle sind auch nicht anders. Ich kann lachen, weinen und nachdenklich sein.
Im Grundgesetz steht, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und Richard von Weizsäcker hat gesagt: „Es ist normal, verschieden zu sein“.

Unsere Welt wäre ärmer, wenn es keine Menschen mit Down-Syndrom mehr gäbe!

Deshalb wünsche ich mir ein Lebensrecht für alle, viel mehr Aufklärung, Toleranz und wirkliche Gleichberechtigung. Vielleicht würde sich ja in unserer Gesellschaft etwas ändern, wenn es mehr Filme gäbe, in denen behinderte Menschen mitspielen und wenn es nicht so viele Behinderteneinrichtungen am Stadtrand gäbe.

Wir gehören dazu!