Mein weiter Weg zum Traumberuf

19. Oktober 2010: Ich habe 2002 meinen Hauptschulabschluss gemacht. Weil mein Traumberuf Arzthelferin war, habe ich danach ein halbes Jahr in zwei Arztpraxen gearbeitet und einen Förderlehrgang gemacht.
 Da ich noch schulpflichtig war, besuchte ich gemeinsam mit den auszubildenden Arzthelferinnen im ersten Lehrjahr die Berufsschule. Dort kam ich sehr gut mit und habe auch viel gelernt. Bei den Tests schrieb ich meist eine 2 oder eine 3. Außerdem lernte ich im Schreibmaschinenkurs mit zehn Fingern zu schreiben.

Es gefiel mir sehr gut in der Berufsschule. Auch in die Praxis ging ich zuerst sehr gern. Ich freute mich auf die Arbeit und die Patienten. Leider wurde ich von einer Arzthelferin total abgelehnt. Ich durfte auch nicht das in der Schule gelernte einbringen. Zu meinen Aufgaben gehörte es, mich um den Hund zu kümmern, bei strömendem Regen ohne Schirm Hundefutter zu kaufen und zur Post zu gehen um die Briefe aus dem Postfach zu holen. Außerdem musste ich die Praxis fegen. Die Atmosphäre war sehr angespannt und ich fühlte mich nach einiger Zeit gar nicht mehr wohl dort. Deshalb schaute ich mich nach einem anderen Arbeitsplatz um.

Gegen den Wunsch der Ärztin kündigte ich und setzte im Waldorfkindergarten meinen Förderlehrgang fort. Dort arbeitete ich 19 Monate und war sehr glücklich.
Ich konnte schon immer gut mit Kindern umgehen. Es machte mir viel Spaß, den Kindern Märchen zu erzählen, Puppenspiele aufzuführen, Fingerspiele zu machen, mit den Kindern zu malen, Ausflüge zu machen, Lieder zu singen und Flöte zu spielen. Einmal pro Woche gab es einen Elternabend. Es war eine sehr schöne Zeit, an die ich noch gerne zurückdenke. Die Kinder hingen an mir und mit meinen Kolleginnen verstand ich mich gut. Auch die Eltern und der Vorstand waren mit meiner Arbeit sehr zufrieden. Deshalb bemühten sich alle, mich nach dem Förderlehrgang weiter zu beschäftigen. Leider scheiterte es an den Finanzen und wir waren alle sehr traurig.

Mein Wunsch war es nun, mit Kindern zu arbeiten, deshalb schickte ich viele Bewebungen los und bewarb mich auch an der Helene Lange Schule in  Mannheim für eine Ausbildung zur Kinderpflegerin.
Beim Integrationsfachdienst riet man mir, mich an einer Altenpflegeschule zu bewerben um eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin zu machen. Das tat ich auch und dann bekam ich sogar zwei Ausbildungsplätze.
In Mannheim an der Kinderpflegeschule bekam ich eine Zusage für einen Ausbildungsplatz zur Kinderpflegerin und in Bensheim einen Platz für die Ausbildung zur Altenpflegehelferin und einen Platz für die praktische Ausbildung in einem Altenpflegeheim in der Nähe. Dort arbeitete auch ein guter Freund von meinem Bruder, der mich anleiten wollte und sollte.

Da die Kinderpflegeschule weit entfernt war und die Ausbildung in Hessen nicht anerkannt wird, entschloss ich mich die Ausbildung zur Altenpflegehelferin zu machen. In der Schule kam ich sehr gut mit und bei den Tests schrieb ich meist eine 2 oder 3. Auch beim mündlichen Test über Strafrecht, Zivilrecht und Haftungsrecht bekam ich eine 2 und auch die praktischen Übungen machten mir keine Probleme.

Aber im Heim sah es ganz anders aus. Die Stationsleiterin hatte Urlaub, als ich den praktischen Ausbildungsplatz bekam. Sie weigerte sich, mich auszubilden und sagte, wenn sie damals nicht Urlaub gehabt hätte, hätte ich den Ausbildungsplatz nicht bekommen. Sie hetzte gegen mich und machte mir das Leben zur Hölle. Auch Tobias’ Freund, der mich schon jahrelang kannte, wollte es sich mit ihr nicht verderben. Damit ich meine Ausbildung beenden könnte und die Altenpfleger entlastet werden, beantragten wir gemeinsam mit dem Heimleiter einen Integrationshelfer beim Integrationsamt. Der wurde auch bewilligt, aber die Stationsleiterin weigerte sich, Hilfe anzunehmen. Ich wurde gemobbt weil man mich loswerden wollte. Meine Ausbildungsberichte wurden nicht unterschrieben.
Obwohl in meinem Ausbildungsvertrag stand, dass der Ausbildungsbetrieb dazu verpflichtet ist weigerte man sich, mich auszubilden. Beim Praxisbesuch meiner Dozentin sollte ich eine Bewohnerin vorstellen und die Pflege unter Anleitung durchführen. Ich durfte nicht die Unterlagen der Bewohnerin einsehen, um den Praxisbesuch vorzubereiten. Als die Angehörigen der Bewohnerin mir einen Brief im Nachtschrank dieser Frau hinterließen, in dem Sie ihr Einverständnis erklärten, verschwand dieser Brief spurlos. Als die Angehörigen der Bewohnerin und meine Mutter gemeinsam mit mir zu der Stationsleiterin gingen und danach fragten, musste sie ihn wieder herausrücken. Man ließ mich keine Vorbereitungen treffen, kein Pfleger war bereit mitzukommen. Ich durfte nicht mal in das Zimmer dieser Frau betreten, sondern wurde in den entgegengesetzten Bereich zum Bettenmachen geschickt.
Man verhinderte ganz einfach, dass ich meine Dozentin pünktlich am Eingangsbereich abholen und meine Prüfungsaufgaben bestehen konnte.
Deshalb musste ich meine Ausbildung nach dem Probehalbjahr abbrechen.

Weil mir die Arbeit mit Kindern so gut gefallen hatte, freute ich mich, dass ich ein Praktikum in einer Praxis für Entwicklungspädagogik in Mainz ableisten durfte. Ich hatte zwar eine tägliche Fahrzeit von 4 1/2 Stunden, aber die Arbeit machte mir viel Spaß. Ich lernte den Umgang mit behinderten Kindern und Fördermöglichkeiten mit GUK, Gebärden, Kieler Zahlen, viel Musik, Kinderturnen und Montessorimaterial kennen. Die Therapie fand in kleinen Gruppen statt und ich durfte gezielt mit den Kindern arbeiten. Die Arbeit machte mir viel Freude.
Dort hätte ich auch eine abgespeckte Ausbildung machen und dann im Kindergarten arbeiten können. Aber dazu hätte ich nach Mainz in ein Wohnheim ziehen müssen und das wollte ich nicht.

Also machte ich als nächstes ein Praktikum in einer Sonderschule für praktisch bildbare Schüler. Dort gefiel es mir auch sehr gut, mit den Kindern zu arbeiten. In einer Klasse waren nur sechs Schüler und wir waren vier Erwachsene. Ich durfte meine Flöte mitbringen und jeder Tag begann oder endete mit Musik.
Hier lernte ich andere Gebärden. Die Kinder hatten es sehr gut in der Schule. Es gab ein Schwimmbad, einen Therapieraum, einen Frühstücksraum und die Kinder fuhren jede Woche einmal zum therapeutischen Reiten. Obwohl man sich hier viel Zeit für jedes Kind nahm, lernten die Kinder nur sehr wenig lesen, schreiben und rechnen, weil einfach wenig angeboten wurde. Ich half den Kindern gerne und staunte, wie toll die Schule ausgestattet war. Trotzdem glaube ich, dass es für mich richtig war, dass ich nicht eine Sonderschule besucht habe.

Weil ich leider keinen Arbeitsplatz im Kindergarten fand, entschloss ich mich, trotz des weiten Weges (4 Stunden Fahrzeit täglich) ein Praktikum im CAP-Markt Höchst zu absolvieren. Hier lernte ich einen ganz anderen Bereich kennen. Ich durfte Regale einräumen und im Lager arbeiten. Manchmal durfte ich auch an die Kasse. Obwohl man sehr zufrieden mit mir war und mir ein Ausbildungsplatz in Aussicht gestellt wurde, klappte es leider weder mit einem Arbeitsplatz noch mit einem Ausbildungsplatz in diesem Jahr und man empfahl mir, mich im kommenden Jahr noch einmal zu bewerben, da in diesem Jahr leider keine freien Plätze mehr waren. Weil es mir dort sehr gut gefallen hatte, war ich schon enttäuscht.

Aber ich fand schnell eine neue Praktikumsstelle, leider auch wieder sehr weit von meiner Wohnung entfernt (2 1/2 Stunden Fahrzeit). Ich begann als Servicekraft in einem Café. Hier sollte ich vier Wochen Praktikum machen und danach einen Arbeitsvertrag für eine halbe Stelle bekommen, wenn man mit mir zufrieden war. Zu meinen Aufgaben gehörte es, die Gäste zu bedienen, Kuchen in einer Bäckerei abzuholen Gläser zu polieren, zu kassieren, die Spülmaschine ein- und auszuräumen, Tische zu decken usw. Die Arbeit hier bereitete mir auch viel Spaß und ich freute mich über das Trinkgeld. Die Kollegen waren sehr nett und ich fühlte mich rundum wohl dort. Ich sollte tatsächlich einen Arbeitsvertrag bekommen.

Ausgerechnet jetzt bekam ich auch eine Stelle im Kindergarten in Aussicht gestellt und zwar in unserem Nachbarort. Ich hätte also nur einen Weg von ungefähr 4 Kilometern täglich zur Arbeit. Obwohl ich es mir sehr gewünscht hatte, mit Kindern zu arbeiten, war ich wieder sehr unsicher, wie ich mich entscheiden sollte. Aber es gab eine Entscheidungshilfe für mich.
Obwohl meine Chefs und Kollegen im Café sehr enttäuscht und traurig waren, als sie erfuhren, dass ich mich mit dem Gedanken trage, nun doch einen Arbeitsplatz bei uns in der Nähe anzunehmen, konnten sie mich verstehen. Ich bekam die feste Zusage, dass ich jederzeit wieder dort im Café arbeiten könnte und auch meinen Vertrag bekäme, wenn es mir im Kindergarten doch nicht so gefallen würde.

An einem Sonntag hatte ich meinen letzten Arbeitstag im Café und durfte zum Abschluss auf dem Flügel dort etwas vorspielen. Mein Chef war so begeistert, dass er gleich eine gute Idee hatte. Ich soll nun regelmäßig an bestimmten Sonntagen für die Gäste auf dem Flügel ein Konzert geben. Darüber freute ich mich riesig. Der erste Termin war am Sonntag, den 2.11.2008, 15:00 Uhr bis  17:00 Uhr.

Dann begann ich mein Praktikum im Kindergarten. Leider gefiel es mir dort gar nicht so gut. Ich durfte nichts machen, nicht mal beim Spaziergang mitgehen. Ich merkte, dass die Erzieherinnen mich eigentlich gar nicht wollten.
Deshalb kehrte ich reumütig ins Café Fechenbach zurück. Alle freuten sich sehr, und meine Chefs meinten: „ Es klingt vielleicht komisch, aber sie freuen sich, dass es mir im Kindergarten nicht gefallen hat und ich zurückkomme.“
Nun habe ich seit dem 2.  Januar 2009 einen festen Vertrag und bin glücklich über meinen Arbeitsplatz. Ich habe inzwischen schon vier Konzerte gegeben.

Ich hatte bis dahin ja immer nur zwei oder höchstens drei Stücke hintereinander, z. B. in der Kirche mit etwa 500 Besuchern oder beim Benefizkonzert in Mutlangen gespielt. Nun musste ich zwei Stunden spielen und war doch etwas unsicher, ob ich das schaffen würde. Aber meine Tante, die mir auch Klavierunterricht gibt stellte ein tolles Programm zusammen und die Gäste waren begeistert. Am 1. Februar 2009 hatte ich mein letztes Konzert und musste sogar schon von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr, also drei Stunden spielen. Das hat mir sehr viel Freude bereitet. Weil es in meiner Arbeitszeit ist, bekomme ich es nun sogar bezahlt. Mein Chef setzt immer am Sonnabend eine Annonce in die Zeitung und stellt vor dem Café eine Tafel auf wo steht, dass ich spiele, weil dann mehr Gäste kommen. Zum Schluss sagte zu mir, ich wäre wieder gut gewesen wie immer und er müsste mich noch etwas fragen: „ Am 28. Februar soll eine Geburtstagsfeier in unserem Café ausgerichtet werden und man hat gefragt, ob Du bereit wärst, gegen ein Honorar von 17:00 Uhr bis 20:00 Uhr zu spielen.“ Da war ich doch sehr überrascht.  Ich habe natürlich zugesagt.
Es ist schon schön, dass ich anderen Menschen Freude machen kann. Nun habe ich nicht nur negative sondern auch sehr viele schöne Erfahrungen gemacht.
Als ich mich im Café vorstellte, dachte ich, dass nicht jeder Traum in Erfüllung gehen kann und dass man froh sein muss, wenn man überhaupt etwas findet. Nun ist es mein Traumjob geworden.
Anfang Dezember rief mein Chef bei uns an und meinte, das Darmstädter wolle einen Bericht über das Café schreiben. Der Chefredakteur hätte bestimmt, diesmal sollte nicht nur über Behinderte geschrieben werden sondern sie sollten auch gefragt werden. Nun hatten meine Chefs mich ausgesucht und wollten wissen, ob ich bereit dazu wäre.
Ich sagte zu und war sehr gespannt auf den Journalisten. Es war ein sehr nettes, lockeres Gespräch und Herr Reith hat fast alles was ich ihm erzählt habe in seinem Artikel untergebracht. Eigentlich hatte er schon ein wenig Berührungsängste, weil er noch keine Erfahrung mit einem Menschen mit Down-Syndrom hatte. Die sind jetzt weg und deshalb hat es sich schon gelohnt.

Mein Traumberuf war ja eigentlich Arzthelferin. Ganz habe ich ihn noch nicht aufgegeben. Mein Bruder ist ja Arzt und hat immer gesagt, dass ich selbstverständlich bei ihm arbeiten könnte, wenn er einmal eine eigene Praxis haben sollte, aber wahrscheinlich wird er in der Klinik bleiben.

Trotzdem habe ich noch einen ganz großen Traum. Ich wäre so gerne Schauspielerin, dann könnte ich viele Berufe spielen. Ich war ja auch meine ganze Schulzeit in der Theater AG und habe jahrelang ehrenamtlich in einem Tonstudio gearbeitet und für Kassetten und Weihnachtsbänder gelesen.

Integration oder Sonderschule?

18. Oktober 2010: Ich heiße Carina Kühne, bin 25 Jahre alt und habe das Down-Syndrom. Weil ich nur die Integration (Kindergarten, Vorklasse, Grundschule und Sekundarstufe) kennen gelernt habe, kann ich eigentlich nichts zur Sonderschule sagen!

Aber ich denke, Integration ist besser, als Sonderschule, weil dem Schüler viel mehr Lernstoff angeboten wird, als in der Sonderschule. Wenn man dem Schüler nichts anbietet und zutraut, kann man nicht feststellen, was er alles leisten kann.
Ich wollte immer das Gleiche machen wie alle anderen Kinder.

Wenn ich eine gute Note bekam, habe ich gejubelt. Manchmal ging auch eine Arbeit daneben, aber, das war ja gar nicht so schlimm.
Ich wurde nie gemobbt oder zurückgesetzt und fühlte mich wohl. Ich gehörte einfach dazu und habe immer gern nachgeahmt, was die anderen Schüler machten.
Nur unter einer Grundschullehrerin hatte ich sehr zu leiden. Alle anderen Lehrer waren fair und sehr nett zu mir. 
Ich habe auch den ganzen Lehrstoff erarbeitet und die Schule mit einem guten Hauptschulabschluss beendet.

Selbst Englisch habe ich entgegen der Meinung von Fachleuten bewältigt. Es war mein Lieblingsfach und ich war Klassenbeste und bekam sogar eine 1 im Zeugnis. 
In der Sonderschule sind nur behinderte Schüler. 
In einer Integrationsklasse gibt es behinderte und nicht behinderte Schüler und beide können voneinander lernen. Man lernt Toleranz und Rücksichtnahme.
Meiner Meinung nach muss man selbst entscheiden, welche Schule man besuchen möchte.
Es gibt doch nur eine Welt und da gehören Behinderte und Nichtbehinderte zusammen.